Dorothea Iser
Die Welt der anderen -2010-
Wer sich wie ich auf Ursula Djaschi einlässt, hat die Chance zu verstehen, wie ähnlich und wie unterschiedlich Frauen im Osten und Westen gelebt haben. Wir entdecken beide andere Welten. Endlich. Lange habe ich danach gesucht. Zwei Frauen begegnen sich zwanzig Jahre nach der Einheit. Beide sind finanziell abgesichert. Die eine abhängig vom Einkommen des Mannes, die andere bezieht Rente nach ihrem langen Berufsleben.
Sie: Ich war immer zu Hause bei den Kindern.
Ich: Ich habe auch Kinder großgekriegt.
Sie: Ich war die Regel. Die meisten Frauen meiner Generation kümmerten sich um Kinder und Haushalt. Etwas anderes wäre mir nicht in den Sinn gekommen.
Ich: Dass ich mal heirate und den Beruf wegen der Kinder aufgebe, darüber habe ich schon als Mädchen gelacht. Das war früher so, als unsere Mütter jung waren.
Sie: Bei uns hat sich das erst spät geändert. Als die Kinder groß wurden, suchte ich mir eine Beschäftigung. Auch auf künstlerischem Gebiet.
Ich: Das ist doch wunderbar. Bei uns wurde bis zur Rente gearbeitet. Mit sechzig waren wir frei. Bei der Doppelbelastung empfanden wir das als gerechtfertigt. Jeden Monat hatten wir einen Haushaltstag. Der fiel gleich weg. Die Freiheit ist uns um fünf Jahre genommen worden. Rente wie die Männer mit 65. Ohne Aufschrei haben wir es geduldet. Auch die Feministinnen haben dazu geschwiegen. Sich nur aufgeregt, wenn wir das IN hinter der Berufsbezeichnung vergessen haben. Sie: Wie ich nun im Osten lebe, sind mir die Augen aufgegangen. Ich habe das Gefühl, wir sind betrogen worden. Hier haben Frauen ein anderes Selbstwertgefühl. Ich kann mich nicht beklagen, ich habe einen guten Mann.
Ich: Ich weiß.
Sie: Aber ich bin auch wer.
Ich: Ich bin wer. Ohne auch.
Wir umarmen uns. Ich will mehr von dir wissen, sage ich. Auf dein nächstes Buch warte ich gespannt. Bei uns im Osten wärst du Schriftstellerin geworden. Vermutlich eine, um deren Bücher man sich bemüht. In langer Schlange ansteht. Oder mit guter Beziehung zur Buchhändlerin. Vielleicht hättest du eine dicke Stasiakte. Ich weiß es nicht. Ich weiß es auch nicht, sagt sie. Komm, erzähle mir von dir!
Textauszug:
Ralf wurde gefragt, ob er als Aufbauhelfer für begrenzte Zeit in den Osten Deutschlands gehen wolle. Wohin, war nicht klar. Potsdam war im Gespräch. "Im Westen ist alles durchorganisiert. Aufbauarbeit. Eine Herausforderung, der ich mich gerne stellen würde." Ralf war euphorisch, er könnte etwas bewegen, befand sich im emotionalen Sog der Wiedervereinigung. Es bedeutete, wir würden eine Wochenendehe führen. Ich sträubte mich. Warum solche Veränderungen? Es ging uns gut, wir wohnten schön, hatten einen netten Freundeskreis. Und das Wichtigste: Unsere Töchter lebten hier. Was, wenn er sich dort beruflich einrichtete? Frauen haben einen siebten Sinn. Ich konnte ihn nicht überzeugen, obwohl wir heftig diskutierten. Die Entscheidung war gefallen. Im Juni 1992 wurde er nach Burg bei Magdeburg beordert. Maximal für ein Jahr, auf gar keinen Fall länger.