30 Bildbetrachtungen erzählen 16 Gemälde als Krimi, als Brief, als Liebesgeschichte, als Gedicht...?
30 literarische Bildbetrachtungen wurden von 19 Autorinnen und Autoren zu 16 Gemälden in einem gemeinsamen Projekt vom Museum Charlottenburg-Wilmersdorf und der Macherei, dem Beschäftigungs- und Bildungsangebot der Evangelisches Johannesstift Behindertenhilfe gGmbH verfasst.
Die Sprach-Bilder wurden zum Teil alternativ-kommunizierend oder auch von blinden Autoren aus inneren Vorstellungen erarbeitet. Anlass für das Projekt war der Wunsch, Barrieren im Museum weiter abzubauen. Aus der Initiative, die kunsthistorischen Bildbeschreibungen der Gemäldesammlung in einfache Sprache zu übersetzen, erwuchs die Idee zum Projekt: Statt vorhandene akademische Texte zu übersetzen, übersetzen die Autorinnen und Autoren ihre subjektiven Zugänge zu den Gemälden in literarische Bildbetrachtungen. Als literarische Betrachtungen werden sie in diesem Buch den ausgewählten Gemälden aus der Kunstsammlung Charlottenburg, Museum Charlottenburg-Wilmersdorf in der Villa Oppenheim zur Seite gestellt - kraftvoll und poetisch!
Textauszug:
Betrachtung zum Bild von Carl Steffeck
Mutterstute mit Fohlen auf der Koppel Um 1882,
Öl auf Leinwand 49,5 x 61 cm
Mutterstute
Nico Nietsch
Ich stehe davor und sehe sie nicht. Dort, sagt sie, zwei Pferde. Ich gucke und gucke und plötzlich sind da ganz verschwommen blaue und rote Flecken. Ja, hier sind sie, sage ich und fasse sie an, aber ich fühle nichts. Andere Pferde, die ich getroffen habe, waren grün und warm und wenn ich auf ihnen saß, spürte ich, wie es unter ihrem Fell pulsierte. Dann verstehe ich. Grüne und warme Pferde konnte ich sehen. Rote und blaue fast gar nicht, wahrscheinlich weil sie so kalt sind.
Ich streichele sie mit meinen Händen. Rot, blau, ist da noch eine Farbe? Ich möchte niemanden fragen. Die Antworten kenne ich. Die sind immer langweilig. Es gibt nur drei, weiß, schwarz und braun. Meine Pferde haben mehrere Farben und sie glitzern im Licht, weil ich sie mit meinen Händen sehen kann.