Saskia

Saskia

Der Wecker klingelt. Uli schreckt hoch. Nein, du hast nicht verschlafen, beruhigt ihn Merle, es ist erst 5.00 Uhr. Ich geh Kaffee kochen. Sie erhebt sich aus dem Bett. Kein Auge hat sie zugemacht, die Nacht war schrecklich.
Uli schlürft seinen Kaffee. Normalerweise ärgert sich Merle über ihren Morgenmuffel. Heute ist sie froh, dass er nichts sagt. Er scheint von dem Anruf nichts mitbekommen zu haben. Sie schmiert seine Frühstücksbrote und brüht den Tee auf. Die Thermoskanne gleitet ihr aus der Hand. Sie schlittert über den Fußboden und landet vor Ulis Füßen.
Was ist denn los mit dir? Er hebt die Kanne auf. Glück gehabt, nichts kaputt.
Merle versucht, seinem Blick auszuweichen.
Ist nicht meine Zeit. Es ist Samstagmorgen. Ich werde mich gleich wieder ins Bett legen.
Sie holt für Uli warme Arbeitssachen aus dem Schrank, so kann sie ihm aus dem Weg gehen. Er scheint ihre Unruhe nicht zu bemerken. Nur jetzt keine Diskussionen, denkt Merle. Uli verabschiedet sich.
Keine Bundesliga heute, das ärgert mich am meisten.
Du wirst es überstehen, es gibt Schlimmeres.
Er drückt ihr einen Kuss auf die Wange, bis heute Abend.
Zurück ins Bett kann Merle nicht. Sie sitzt am Küchentisch und überlegt. Was soll ich Oma sagen? Oma wird mich suchen, wenn ich nicht zu Hause bin.
Guten Morgen Oma, musste dringend eine Besorgung machen. Bin nach dem Mittag wieder zurück, schreibt Merle auf einen Zettel. Sie sieht auf die Uhr. Eine halbe Stunde braucht sie mit dem Auto bis in die Stadt. Es ist noch zu früh, um ins Krankenhaus zu fahren. Auf dem Weg ins Bad, stolpert sie im Flur über Tobis Fußballsachen. Der Schulrucksack liegt achtlos daneben. Das Durcheinander ihres Sohnes ist ihr gestern gar nicht aufgefallen. Ordnung ist das halbe Leben, würde Oma jetzt sagen. Merle sammelt die Sachen zusammen und bringt sie in Tobis Zimmer. Die Dielen der alten Holztreppe knarren. Das hat Matti immer verraten, wenn er spät in der Nacht nach Hause kam. Nachdem Matti eingezogen war, haben sie den Dachboden ausgebaut. Jetzt hat Tobi sich hier einquartiert. Ich geh in mein Himmelreich, scherzt er mit der Mutter, wenn sie ihm mit Arbeit droht. Sein Zimmer ist aufgeräumt, wenigstens das hat er gemacht. Merle verwöhnt ihre Männer, trägt ihnen alles hinterher. Ein Fehler, das weiß sie, aber sie macht es gern. Matti hat sie auch verwöhnt. Der Junge hatte es schwer. Merle sitzt auf Tobis Bett. Vom Poster an der Wand sehen sie Fratzen an. Was der Junge nur an dieser Musik findet, Ärzte nennen sie sich. Zum Geburtstag wünschte er sich von Oma Geld, wollte sich davon ein Buch über die Ärzte kaufen. Oma freute sich, sie glaubte, der Junge will Medizin studieren. Die Familie lachte, eine Band, davon hat sie noch nie gehört. Einem Herzanfall ist sie nahe, wenn die dumpfen Bässe aus Tobis Musikanlage bis in ihre Wohnung herunterdringen. Rap, Techno und Hip-Hop. Der Fußboden bebt, noch schlimmer, wenn Matti da ist. Omas Schwerhörigkeit ist auf der Stelle vergessen. Ruhe, schreit sie nach oben.
Seit drei Monaten hat Matti nun seine eigene Wohnung. Es schmerzte, den Jungen ziehen zu lassen, aber er muss selbständig werden, ist alt genug. Merle erinnert sich. Tobi hatte ihn damals mitgebracht. Vor seiner Schule hatte ihm Matti aufgelauert und um Hilfe gebeten. Tobi verlangte die doppelte Menge an Schulbroten und sein Taschengeld war ständig alle.
Lass ihn, sagte Uli, der Junge wächst. In seinem Alter hätte ich ein halbes Schwein verdrücken können.
Merle kam es trotzdem spanisch vor. T-Shirts und Pullover waren plötzlich verschwunden. In der Wäsche waren sie nicht, das wusste sie. In Tobis Schrank fand sie die Sachen auch nicht, sogar die neue Jeans fehlte. Merle stellte ihren Sohn zur Rede.
Ich habe es Matti gegeben, Tante Saskia hat ihn rausgeschmissen. Er lebt auf der Straße. Merle war entsetzt. Warum erzählte Tobi ihr erst jetzt davon. Musste es so weit kommen? Gegenseitiges Vertrauen, über Probleme offen und ehrlich reden, das hatten sie ihm von kleinauf eingetrichtert. Mit Uli war es mitunter schwierig. Mit größeren Problemen kam Tobi meistens zu ihr. War ihr Verhältnis etwa gestört? Würde es ihr wie Saskia mit Matti gehen? Tobi und Matti, Kinder sind unschuldig. Erwachsene leben vor, Kinder reflektieren. Unsere Probleme in der Familie über die keiner spricht, dachte Merle. Omas Missachten, Ulis Ablehnen und Merles Stillhalten gegenüber Saskia …

   
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